Genetik

Die Vererbung des Magenkarzinoms

Allgemein lassen sich Krankheiten, deren Entstehung durch genetische Faktoren mitverursacht wird, anhand ihrer Vererbung unterteilen.

Dabei müssen monogene (ein Gen betreffend) von multifaktoriellen Erkrankungen unterschieden werden. Monogenen Krankheiten liegen stark durchschlagende, sog. hochpenetrante genetische Veränderungen (Mutationen) in einem Gen zugrunde. Hat ein Kind eine bzw. zwei Mutationen in einem Gen von einem bzw. beiden Elternteilen geerbt, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Erkrankung betroffen sein. Obwohl es eine kaum überschaubare Anzahl verschiedener monogener Krankheiten gibt, ist jede einzelne in der Allgemeinbevölkerung selten; Beispiele sind die Mukoviszidose oder die Duchennsche Muskeldystrophie.

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Von den monogenen müssen die multifaktoriellen Krankheiten abgegrenzt werden. Hierbei handelt es sich um Erkrankungen, die in der Allgemeinbevölkerung häufig sind; Beispiele sind der Bluthochdruck oder der Diabetes mellitus (Blutzuckerkrankheit). Multifaktoriellen Krankheiten liegt ein genetisch komplexer Vererbungsmechanismus zugrunde. Die Erkrankungen sind durch das gleichzeitige Vorliegen von Genveränderungen bzw. Risikovarianten in vielen unterschiedlichen Genen gekennzeichnet. Dabei ist das Gewicht bzw. die Effektstärke jeder einzelnen Gen- bzw. Risikovariante sehr unterschiedlich. In unterschiedlicher und individueller Kombination sowie in Wechselwirkung tragen sie zur jeweiligen Krankheitsdisposition bei. Die Erkrankung ist als Endzustand aufzufassen, zu dem auch nicht-genetische Faktoren beigetragen haben. Aufgrund des komplexen Vererbungsmechanismus ist das Wiederholungsrisiko bei multifaktoriellen Krankheiten für Kinder von Betroffenen wesentlich geringer als bei monogenen Krankheiten. 

Allerdings ist es gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht, da Kinder betroffener Eltern durchschnittlich mehr Risikovarianten erben.
Für das Magenkarzinom konnte vielfach gezeigt werden, dass es sich um multifaktorielle Krankheiten handelt. So werden vermehrt Krankheitsfälle in den Familien von Betroffenen gefunden (siehe Übersicht von Lichtenstein et al. N Engl J Med 2000 343:78-85). Allerdings sind die zugrundeliegenden Risikogene bislang nicht identifiziert.

Die Kenntnis der genetischen Risikofaktoren könnte aber dazu beitragen, die zellbiologischen Krankheitsvorgänge zu verstehen. Sie könnten wichtige Informationen für eine bessere Früherkennung, Prognose und Therapie liefern (siehe Ziel von staR).

 

Der Aufbau und die Variabilität des menschlichen Genoms

Die Gesamtheit der genetischen Information eines Menschen bzw. einer Person wird als Genom bezeichnet. Das Genom liegt in Form von 46 Chromosomen in den Kernen (Nucleus) menschlicher Zellen (Cell) vor (siehe Abbildung A, hier ist exemplarisch ein Chromosom dargestellt). Jeweils 23 der Chromosomen hat man von seiner Mutter und die übrigen 23 Chromosomen von seinem Vater geerbt. Mit speziellen Präparationstechniken können Chromosomen unter dem Mikroskop sichtbar gemacht werden, wobei die Enden von Chromosomen Telomere und die mittleren Abschnitte Zentromere genannt werden. Die Chromosomen bestehen aus der stark kondensierten DNA-Doppelhelix (double helix), die sich um spezielle Eiweißkörper windet, die Histone (Histones) genannt werden. Die DNA ist aus 4 unterschiedlichen Basen (Base Pairs, abgekürzt A, C, G, T) aufgebaut, deren Abfolge bzw. Sequenz zwischen Menschen größtenteils identisch ist, aber auch Unterschiede aufweisen kann.

IIlustration: ranarex Kommunikationsdesign, Michele Cappiello

In der Abbildung ist beispielhaft ein Ausschnitt der DNA-Sequenz für 6 verschiedene Personen abgebildet. Die Sequenz unterscheidet sich an zwei Stellen, die man als SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms bzw. Einzelbasenaustausche) bezeichnet. Sie stellen die häufigsten und kleinsten Sequenzunterschiede bzw. Varianten zwischen Menschen dar. Beispielsweise tragen Franziska und Holger bei SNP 1 die Base A, wohingegen alle anderen Personen die Base C tragen. Demgegenüber tragen Boris und Ralf bei SNP 2 die Base A, wohingegen alle anderen Personen die Base T tragen. Die Ausprägung einer Variante wird auch Allel genannt. Demnach sind Franziska und Holger bei SNP 1 Träger von Allel A und die übrigen Personen Träger von Allel C. Bei der zweiten genetischen Variante sind Boris und Ralf Träger von Allel A, alle übrigen Personen sind Träger von Allel T.

Liegen genetische Unterschiede in DNA-Abschnitten, die für Eiweißkörper kodieren (sog. Gene), können auch die Eiweißkörper Unterschiede aufweisen, was zu Erkrankungen führen kann. Dann werden die Veränderungen auf der Ebene der DNA auch Mutationen genannt. Die meisten Sequenzunterschiede liegen aber in DNA-Abschnitten, die für den Organismus folgenlos bleiben. Solange nicht klar ist, ob eine Veränderung zu einer Krankheit führt oder nicht, werden die Unterschiede allgemein genetische Varianten genannt.

Bei genetischen Assoziationsanalysen wird untersucht, ob bestimmte Allele von genetischen Varianten häufiger bei Patienten als bei gesunden Kontrollen vorkommen (siehe auch Ziel von staR). Ist dies der Fall, dann stellen die identifizierten Varianten genetische Risikofaktoren für die Entstehung der Erkrankung dar. Mittlerweile können Assoziationsanalysen genomweit mit einer großen Zahl von genetischen Varianten durchgeführt werden, es handelt sich um sog. genomweite Assoziatinsanalysen (GWAS) (siehe auch Ziel von staR). Hierdurch ist die Identifikation von Risikovarianten bei multifaktoriellen Krankheiten systematisch und hypothesenfrei möglich. Eine GWAS soll auch im Rahmen von staR durchgeführt werden. Beim Magenkarzinom handelt es sich nämlich um multifaktorielle Krankheiten (siehe oben).

Für GWAS müssen die einzelnen Basen der DNA-Doppelhelix sichtbar gemacht werden. Da sie nicht mehr unter dem Mikroskop gesehen werden können, sind indirekte, sog. molekulargenetische Analysen notwendig. Wie bei der Chromosomenanalyse unter dem Mikroskop ist hierfür eine Gewebe- bzw. Blutentnahme erforderlich. Aus dem Blut werden dann die Zellen gewonnen, an denen die DNA-Sequenz untersucht werden kann.